Die Überreste der Luftabwehreinheit S–75 „Volhov“ im Dreieck von Leliv–Kopatschi–„Tschornobyl–2“
Über die Luftabwehreinheit bei Tschornobyl hörte ich vor ungefähr zwei Jahren von meinem guten Bekannten, dem Liquidator (Beteiligter an Aufräumarbeiten) Evgeniy Samoilov. Er erinnerte sich an einen Bettnachbarn aus dem Krankenhaus, einem ehemaligen Soldaten aus der Einheit irgendwo nahe Tschornobyl, und erzählte, daß sie erst ein Jahr nach der Katastrophe aufgelöst worden war.
Jegliche Versuche, irgendeine Art von Informationen über die Raketen in der Zone zu finden, führten mich nur noch mehr in eine Sackgasse. Die Leute, die sich bestens in der Zone auskannten, machten lange Gesichter und behaupteten, nie was davon gehört zu haben.
Ich habe mich bereits damit abgefunden und packte die Geschichte in die Schublade der „Märchen von Tschornobyl“, als vor nicht langer Zeit, in einem Gespräch mit dem ehemaligen Offizier, der bis 1984 bei der Überhorizont–Radarstation „Tschornobyl–2“ stationiert war, diese geheimnisvolle und mysteriöse Einheit wieder auftauchte. Und er gab mir sogar die genauen Koordinaten der S–75 Luftabwehreinheit „Volhov“!
Mit genau so einer Rakete wurde 1960 ein amerikanisches Spionageflugzeug vom Typ U–2 abgeschossen. Die gleichen Raketen bereiteten den Amerikanern im Vietnamkrieg die meisten Kopfschmerzen. Die Luftabwehrsysteme dieses Typs wurden in mehr als 40 Länder der Welt geliefert; das Abbild davon wurde auf allen Propagandaplakaten der Sowjetarmee, aber auch auf Postkarten und Briefmarken, gedruckt. Diese Raketen wurden zusammen mit der legendären AK–47 zum Symbol der Macht der sowjetischen Streitkräfte.
Jetzt wusste ich genau wo ich danach suchen sollte, rief sofort Sergey Paskevitsch an und machte mich für den Ausflug in die Zone bereit. Sergey, als ein Mann der Wissenschaft, verließ sich nur auf wahre Fakten und stand meiner Abenteuereuphorie anfangs skeptisch gegenüber. Ausserdem schwankten die Informationen, die er über seine „Kanäle“ bekam, zwischen „dort gibt es nichts“ und „eine alte Zementfabrik“ hin und her. Wir haben uns darauf geeinigt, daß es keinen Sinn mache, jetzt darüber zu rätseln; man müsse einfach hinfahren und zwar am Besten, sofort, solange es noch keinen Schnee gibt; damit der Ausflug nicht auf den Frühling verschoben werden muß. Es ist der 8. November, 10 Uhr morgens. Sergey, Natalja, und ich fahren in die 10–km–Zone herein. Vor dem Dorf Kopatschi biegen wir links auf die Betonstraße, die nach „Tschornobyl–2“ führt, ab, fahren etwa einen halben Kilometer geradeaus und biegen diesmal rechts in einen Waldweg ein.
Es weht ein unangenehmer, kalter Wind. Ab und zu fällt leichter Schnee. Die Gammastrahlung beträgt hier 90 µR/h.
Durch die Bäume werden die grauen Wände eines Gebäudes sichtbar, danach kommen die Betonpfeiler einer Umzäunung mit Stacheldrahtresten. Wir sind da und es ist ganz bestimmt keine Zementfabrik :).
1. Das Haupttor | 2. Links sieht man die Kaserne | 3. Rechts ist der Hauptplatz |
Die Räumlichkeiten der Kaserne sind wie leergefegt. Die komplette Einrichtung, die Holzböden und Heizkörper, sind abgebaut und entfernt worden.
Aus der Erfahrung in der Zone weiß ich, daß so etwas normalerweise nicht grundlos in der Gegend herumliegt. Ich trete näher und halte mein Dosimeter bereit... Zu meiner Verwunderung stelle ich keine Auffälligkeiten fest... bis auf die Umgebungsstrahlung, die auf dem gesamten Gelände zwischen 90 und 120 µR/h hin– und herpendelt.
5. Der Kontrollpunkt | 8. Der Weg zum Luftabwehrsystem | 9. Der Zentralbunker |
Mir ist nicht ganz klar, wofür das zentral plazierte Gebäude, daß ich vorab „Zentralbunker“ genannt habe, wirklich benutzt wurde. Eigentlich gibt es in der Standardausführung gar keinen Bunker in der Mitte, sondern nur ein Hauptradar und einige Steuerkabinen.
10. Eine von insgesamt 6 im Kreis plazierten Abschussrampen.
Für die Organisation und Begleitung möchte ich mich bei S. Paskevitsch (Ecocenter) herzlich bedanken.
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