Die Idee entstand vor ungefähr zwei Jahren, nachdem ich mit dem Auto erfolglos versucht habe, zum Bahnsteig von „Burjakiwka“, vom gleichnamigen Dorf ausgehend, zu gelangen. Der Weg ist mit dem Auto nicht befahrbar; außerdem wären 16 Kilometer Fußweg auf den Schienen doch etwas zu weit und vor allem ziemlich unspektakulär.
Es blieb nur eins, nämlich die Strecke mit der Bahn zu befahren.
Die Bahnstrecke Tschernihiw-Owrutsch wurde im Jahr 1930 gebaut. Nach der Reaktorkatastrophe von 1986 wurde der Bahnverkehr eingestellt. Der letzte Passagierzug - Nr. 191 Moskau-Chmelnyzkyj – passierte den Bahnhof von Janiw am 29. April 1986. Heutzutage wird die Strecke nur auf dem Abschnitt zwischen Semychody und Slawutytsch befahren. Die ER–9–Züge befördern das Personal zum Atomkraftwerk und wieder zurück nach Slawutytsch. Die Strecke von Janiw nach Wiltscha wird heute nicht mehr genutzt.
„Vielleicht wollt ihr im Waggon mitfahren?“ fragt uns der Lokführer. „Wenn ja, dann können wir auf die Schnelle einen anhängen“. Nein, drinnen mitfahren wollen wir irgendwie nicht und so klettern wir auf die Seitenflächen der Lok. „Haltet euch fest, wir starten!“ Ein lautes Pfeifen gibt das Zeichen zum Start und der Zug legt langsam, aber sicher los. Bekannte Bilder ziehen an uns vorbei: Umgekippte, verrostete Waggons und wild herumliegende, halb demontierte Lokomotiven. Die Schienen befinden sich eigentlich noch in einem ganz akzeptablen Zustand und die Lok tuckert munter weiter bis wir die Wahnsinnsgeschwindigkeit von 40 km/h erreichen. Wir fahren an dem Güterbahnhof vorbei. Komischerweise sehe ich den Verladekran hier zum ersten Mal; und das, obwohl ich schon oft hier gewesen bin. Manche Sachen sieht der Photograph eben nur durch das Objektiv...
- Bahnhof „Schepelytschi“.
Tatsächlich befindet sich die Siedlung Schepelytschi eigentlich ganz woanders. Den Bahnhof benannte man möglicherweise nur deswegen so, um, im Falle eines Krieges, potentielle Feinde oder Angreifer zu verwirren :). Nach „Stari Schepelytschi“ sind es von hier aus über 5 km, nach „Novi Schepelytschi“ über 8 km. Dafür ist das Dorf Burjakiwka ganz in der Nähe des Bahnhofs. Automatisch stellt sich die Frage, warum man den Bahnhof nicht auch „Burjakiwka“ genannt hat? Einen Bahnhof namens Burjakiwka gibt es aber auch, allerdings 3 km entfernt von dem gleichnamigen Dort... In Gedanken vertieft, schaffe ich es nicht, im Vorbeifahren ein Foto des Bahnhofs zu schießen.
Die Lok wird langsamer – der erneuerte Abschnitt ist jetzt zu Ende. Anstatt wie vorher auf Beton, geht es ab hier auf Holz-Schwellen weiter. Hier und da wachsen kleine Tannen und Birken zwischen den Schwellen.
Bäume und Büsche wachsen so nahe der Schienen, daß man sich andauernd vor hervorstehenden Ästen und Zweigen schützen muß. Der letzte Bahnsteig auf der Strecke heißt Krasnyzja.
- Towstyj Lis („Krasnyzja“).
Die Lok wird langsamer und bleibt vor einem zugewucherten Bahnübergang stehen. Wir sind in Towstyj Lis angekommen. Rechts sieht man die Mitte des Dorfs; geradeaus geht die Straße Richtung Wiltscha. Die Geschichte um die Bezeichnung des Bahnhofs ist eine ähnliche wie die von Burjakiwka: Von hier bis zum Zentrum des Dorfs sind es vielleicht nur 500 Meter aber zum Bahnsteig „Towstyj Lis“ über 5 km. Und so sieht es dann aus: Wenn man nach Burjakiwka muß, fährt man nach Schipelitschi, und um nach Towstyj Lis zu kommen, muß man zum Bahnhof Krasnyzja; denn wenn man in Towstyj Lis aussteigt, sind es noch über 5 km zum eigentlichen Dorf. Na ja, mein „Fahrplan“ ist eigentlich völlig überflüssig: Es gibt niemanden mehr, der nach Towstyj Lis zum Pilze sammeln fährt, oder nach Burjakiwka zur Datscha. Die Geheimdienstler oder Agenten werden wohl auch kaum daran interessiert sein; und den heutigen Bewohnern dieser Gegend (Wölfe, Wildschweine, Rehe und Hirsche) wird er wahrscheinlich auch nichts nützen.
Die Lok pfeift laut und fährt zurück Richtung Janiw.
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