Als wir gestern, am 22 Dezember Nihonmatsu verließen war das Wetter noch herbstlich warm und sonnig. Nach ein paar Stunden Schlaf im Auto, werden wir, von verschneiten Bergen der Iwase Region (岩瀬郡), umgeben, im Haritoko Highland Regina Forest Resort wach.
Hatoriko Highland Regina Forest Resort
Ein Kurort im Gebirge, nicht weit des Dorfes Ten´ei. Trotz der 90 km Entfernung zum verunglückten Fukushima – Daiichi AKW und der unbedeutenden radioaktiven Belastung, durchlebt der Kurort momentan nicht die besten Zeiten. Wie der Rest der Präfektur Fukushima im Übrigen auch. Der Kurort, der für seine heißen Quellen und Spa – Prozeduren bekannt ist, befindet sich am Rand einer Pleite – der Touristenstrom nach Fukushima ist unterbrochen.
Es ist der Morgen des 23.Dezember 2011. Draußen ist es -50С und es weht ein kalter durchdringender Wind. Unvorstellbar, dass ich noch gestern auf dem grünen Rasen in einer leichten Herbstjacke herumgelaufen bin. Die Zeit bis zum Frühstück nutze ich um mich in der Gegend um Regina Forest (den langen Namen des Kurortes kürze ich aus Bequemlichkeit ab) umzuschauen und gleichzeitig meinen «Stora-TU» Dosimeter mit GPS Anbindung zu testen. Die Ortsdosisleistung liegt bei etwa 0,15-0,2 uSv/h. Der Armbandspektrometer MKS-11 „Spektra“ zeigt ein wenig mehr an, 02-04 uSv/h (bedingt durch die höhere Empfindlichkeit des CsJ Szintillators im Vergleich mit der eines GM Zählrohres von „Stora-TU“).
Das Schultreffen
Heute findet in Regina Forest ein Treffen der Schüler aus den vor neun Monaten evakuierten Grund- und Mittelschulen von Tomioka statt. Es wurde durch den Lehrerverband und von den Eltern der evakuierten Kinder organisiert.
Die Siedlung Tomioka (富岡町), Bezirk Futaba (双葉郡), Fukushima Präfektur. Vor der Katastrophe lebten in Tomioka ca. 16000 Einwohner. Die Entfernung zum havarierten AKW - etwa 8 km.
Der Name Tomioka ist in Japan geläufig, es gibt mehrere Orte in anderen Präfekturen, die so heißen. Die Stadt Tomioka ist außerdem wegen einer der längsten Sakura-Allee in Japan bekannt. Anfang April fand im Stadtpark von Yonomori das Festival der blühenden Sakura statt. Die Autos standen in einer 3 km Schlange nur um unter einem von insgesamt drei Tunneln aus blühenden Sakurabäumen durch zu fahren. In der Nacht wurden die Bäume mit hunderten kleinen Scheinwerfern beleuchtet. Dank dieser Tradition war Tomioka einer der wichtigsten Orte in Japan, um das Blühen des Sakurabaumes zu beobachten.
In Tomioka (als auch im benachbarten Naraha) befindet sich das Fukushima – Dai-ni AKW (Nummer 2). Das sorgte für ziemlichen Wohlstand. Das am Ozean liegende Tomioka wurde sowohl durch den Störfall des Fukushima – Daiichi AKW als auch durch das Erdbeben und nachfolgenden Tsunami schwer beschädigt. Am 12. März 2011 wurde die Siedlung evakuiert.
In Tomioka gab es zwei Grundschulen, zwei Mittelschulen und eine höhere Schule.
Wir kommen um 11 Uhr morgens an der zentralen Sporthalle von Regina Forest an. Rund um die Halle parken bereits etliche Busse.
In der Halle herrscht eine rege Stimmung. Die Kinder tauschen die Telefonnummern und die neuen Adressen aus, machen Fotos. An den Tischen sind die ganz Kleinen mit dem Basteln der Kerzen beschäftigt: bunter Sand aus kleinen Schachteln kommt mit verschiedenen Muscheln in Gläser und wird anschließend mit Gel vergossen.
Von den Erwachsenen sind die Lehrer und einige Eltern anwesend.
Die Ehegatten Suzuki brachten ihre 11 jährige Tochter zum Schultreffen mit. Frau Suzuki wirkt auf den ersten Blick klein und zerbrechlich, schaut selbst wie eine Schülerin aus. Sie lächelt, doch ihre Augen wirken müde und traurig
— Sie haben uns versprochen alles zu säubern. Was meinen Sie, ist es möglich?
Ich möchte sie gerne beruhigen und Hoffnung geben, finde jedoch nicht die passenden Worte und fange an etwas kompliziertes und verstricktes über Bodenanalyse, harte und schwierige Dekontaminationsmaßnahmen zu erzählen... Kenzo Hashimoto übersetzt das Ganze, sie lächelt und nickt traurig zu. Ich bin verlegen und verstehe genau, dass ich dieser Frau mit den traurigen Augen nicht das was ich darüber denke erzählen kann, dass wir in Tschernobyl vor 26 Jahren das alles schon durchgemacht haben und dass sie nicht nach Tomioka zurückkehren wird...
Ihr Mann, Toshinori Suzuki, kommt mir zur Hilfe:
— Ich arbeite selber in der Atomindustrie und verstehe bestens, dass 6 uSv/h in unserem Haus eine ernste Sache ist, vor allem für unsere junge Tochter. Ich weiß nicht, ob wir jemals wieder in unser Haus zurückkehren werden, aber ich hoffe es sehr.
Um etwa ein Uhr nachmittags verlassen wir Regina Forest und fahren in den Osten der Präfektur zum Städtchen Miharu. Für heute ist ein Treffen mit dem Bürgermeister von Miharu, Herrn Yoshinori Suzuki geplant. In ersten Tagen nach dem Unfall im Fukushima – Daiichi AKW organisierte er in Eigeninitiative den Ankauf von Dosimetern und Jodpräparaten mit den Mitteln aus der Stadtkasse und stellte diese seinen Bürgern kostenlos zur Verfügung.
Der Bürgermeister von Miharu (三春町). Präfektur Fukushima. Zweiter Tag< Zurück | Weiter >Nihonmatsu (二本松市). Präfektur Fukushima. Erster Tag |
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