Bereits seit mehreren Tagen fiel pausenlos nasser Schnee vom Himmel. Temperaturen um den Gefrierpunkt sowie die Windstille verschlimmerten die Situation. Zum Abend des 10. Dezember erreichten die Schneemassen auf dem Bäumen und Hochspannungsleitungen eine kritische Menge. Es war klar dass die Situation eskalieren würde, wenn es nicht aufhört zu schneien. Die ganze Nacht vom 10. auf den 11. Dezember hörte man das Knacken der herabstürzenden Bäume und das Zischen von Kurzschlüssen in den Stromleitungen.
11.12.2012. Tschernobyl. Blackout
Der nächste Morgen schaffte Klarheit: um 6 Uhr stellte sich heraus dass sich die Ursache des Blackouts nicht in Tschornobyl selbst befand, sondern irgendwo nahe Kiew. Ein umgeknickter Hochspannungsmast sorgte dafür, dass der ganze nördliche Teil der Kiewer Region ohne Strom war.. Nur das AKW blieb am Netz, da es über eine andere Leitung versorgt wird.
Zusammen mit dem Strom fiel die Warmwasserversorgung in Tschernobyl aus.
Anfangs kümmerte der Stromausfall niemanden so richtig. Bei dem Wetter ist das auch kein Wunder, sie werden es schon reparieren, dachte sich wohl alle. Ohne die morgendliche Toilette und ohne eine Tasse Kaffee oder Tee bewegten sich alle langsam zum Frühstück in Richtung Kantine. Die dunklen Fenster der Kantine kündeten bereits an dass es heute kein Frühstück geben wird. Und höchstwahrscheinlich auch kein Mittagessen…
Etwas später erreichte uns die Information, dass das Problem wesentlich grösser sei als erst angenommen. Das Gebiet um Iwankowo war komplett ohne Strom. Etwa um 9 Uhr morgens hatten sich die Batterien der Notversorgung der Mobilfunkmasten verabschiedet. Die Mobiltelefone, die in den letzten Jahren zum gewohnten und bequemen Kommunikationsmittel geworden sind, verwandelten sich von einem Moment zum anderen in nutzlose Spielzeuge. Es funktionierte nur noch das innerstädtische Telefonnetz. Man begann mit der Suche nach den alten Telefonapparaten, die längst nutzlos irgendwo am Verstauben waren.
Ich spazierte durch Tschornobyl. Überall lagen umgeknickte Bäume und zerrissene Stromleitungen herum. Auf der Lenin Straße parkte unter einer dicken Schneeschicht eine „Wolga“. Zwei mir entgegenkommende Frauen fragen:
— - „Wie sind sie denn bis hierhergekommen? Über die Retschniki Straße oder über den Fußpfad?"
— - „Über den Fußpfad, auf der Retschniki herrscht das totale Chaos, da kommt ihr nicht durch. Auf dem Fußpad liegt ein umgeknickter Baum, aber man kann darüber klettern.“
Der Schneeregen hörte nicht auf. Die Jacke und die Hose waren nass, sie ohne Heizung zu trocknen würde nicht einfach werden…
In Jacken gekleidet, versuchten die Leute in den kalten Büroräumen über die innerstädtische Verbindung irgendjemanden zu erreichen. Es war Mittagszeit. Uns wurde gesagt dass wir bei der Kantine Notproviant abholen sollten. Was würde weiter passieren? Wir warteten auf die Direktorenversammlung, die über das weitere Vorgehen entscheiden würden. Die Versammlung fand normalerweise um 5 Uhr abends statt, aufgrund der schwierigen Lage werden sie die wohl vorziehen müssen. Es wurde ja auch früh dunkel, oder sollten sie etwa bei Kerzenlicht beraten? Apropos Kerzen: Ich hatte gar keine. Im Shop gab es auch keine, alles ausverkauft. "Gut, dann gehe ich mal wieder durch Tschernobyl spazieren, wenn irgendwas ist gibt es ja noch die innerstädtische…", saget ich mir.
Es war etwa 3 Uhr nachmittags. Nun wurden alle bis mindestens nächsten Montag evakuiert. Nur das Notpersonal blieb. Am Busbahnhof standen Busse, die sobald sie voll waren sofort abfuhren. Ich ging zurück in mein Zimmer. Im Gebäude hatte sich die Luft bis zur Außentemperatur abgekühlt. Es dämmerte. "Macht nichts, ich habe warme Kleidung und etwas zum Essen, eine kaputte Taschenlampe und keine Kerzen."
Aufgrund der schwierigen Wetterlage in der Sperrzone wurden Objekte in der Stadt Tschornobyl durch eine Notabschaltung vom Stromnetz getrennt. Aufgrund der Entscheidung bei der Ausschusssitzung der staatlichen Agentur zur Verwaltung der Sperrzone, sind 500 Beschäftige, die nicht in fortlaufenden technologische Prozesse involviert sind, evakuiert worden. Die Evakuierung erfolgte bis 17:00 des gleichen Tages. (Quelle: Webseite des ukrainischen Ministeriums für Zivilschutz)
18.12.2012. Tschornobyl. Die Rückkehr< Zurück | Weiter >Fukuschima (福島県). Der letzte Tag |
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