Region Kiew.
Die Zone der Entfremdung von Tschornobyl („Die westliche Spur“).
Tscherewatsch, Kopatschi, Stetschanka, Lubjanka, Towstij Lis, Nowa Krasnyzja, Retschizja, Stari Schepelytschi.
Es ist der 9. Mai 2006. Wir fahren durch Dörfer in der Zone der Entfremdung; entlang der „westlichen Spur“. Das Ziel unserer Reise ist das Dorf Towstij Lis. Die Gegend ist abgelegen und wird aufgrund der radioaktiven Verschmutzung kaum von Menschen aufgesucht.
Der erste Halt in der 30–km–Zone ist das Dorf Tscherewatsch. Bei allen vorherigen Reisen fuhren wir an dem Dorf vorbei. Diesmal machen wir eine Ausnahme.
Wir befinden uns in der 10–km–Zone. Der nächste Halt ist das Dorf Kopatschi. Über Kopatschi ist viel berichtet worden, möglicherweise aufgrund seiner Nähe zum Kraftwerk. Egal, ob man nach Pripjat oder zum AKW möchte, man passiert immer die mit rotgelben Radioaktivitätsschildern geschmückten Hügel. Unter diesen Hügeln befinden sich Häuser, die nach dem Unfall abgerissen und vergraben wurden. Leider fand ich nichts über das Leben im Dorf vor dem Unfall heraus. Alles, was über Kopatschi bekannt ist, stammt aus der Zeit danach. Eines der Gebäude, das erhalten blieb, ist der Kindergarten. Direkt daneben steht ein Denkmal für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Trotz der Tatsache, schon des öfteren hier gewesen zu sein, kam ich nie dazu, den Kindergarten zu besichtigen. Aber heute ist der 9. Mai, und ich entschließe mich, anzuhalten. Während des Spaziergangs entlang der Allee vom Denkmal zum Kindergarten, erinnerte ich mich an Rimma Kiseliza, eine Reiseführerin von Tschornobyl Interinform. Sie starb im März dieses Jahres. Ein Foto, auf dem sie neben der Tür des Kindergartens von Kopatschi steht, drehte sich die ganze Zeit vor meinen Augen. Die Gammastrahlung im Bereich um den Kindergarten beträgt etwa 2 mR/h.
Wir lassen das AKW, die Stadt Pripjat und die Bahnstation Janiv hinter uns und schon kommt das erste Hindernis: Die Straße nach Burjakiwka ist gesperrt. Wir wenden und fahren über Stetschanka, Iljincy und Rudnja–Iljinezka. Das Dorf Burjakiwka ist ein Ort mit Symbolcharkter in der Zone: Ein kleines, unbekanntes Örtchen gab der größten „Endlagerstätte“ für radioaktive Abfälle seinen Namen. Seitdem wird der Name Burjakiwka manchmal auch als Synonym für das Wort „Friedhof“ benutzt. Tatsächlich liegt das Dorf aber einige Kilometer von dem Endlager entfernt. Heute kommen wir nicht dorthin. Vor allem, weil die Umleitung unsere Reise schon deutlich verlängert. Wir biegen Richtung Süd–Westen ab und setzen unseren Weg, der mitten durch den toten Wald führt, fort.
Wir sind außerhalb der 10–km–Zone. Eine Reihe von Ruinen abgebrannter Häuser findet sich entlang der Straße – es ist das Dorf Stetschanka. Eines der Dörfer, die bei einem Waldbrand 1996 fast vollständig abbrannten. Alles, was stehen blieb, waren die gemauerten Öfen und einige Bettgestelle aus Metall. Danach folgt das Dorf Iljincy – eines der „nicht ganz toten“ Dörfer innerhalb der 30–km–Zone. Etwa fünf Häuser werden bewohnt; man erkennt dies an den gepflegten Gärten.
Wir fahren entlang des schmalen, aber ziemlich lebhaften Flusses Illja. Nach einigen Kilometern folgt nun das Dorf Lubjanka. Hier fahren wir Richtung Nowa Krasnizja ab. Bis zu unserem Ziel Towstij Lis bleiben noch etwa 10 Kilometer. Hier stoßen wir auf ein zweites Hindernis: Ein ziemlich großer umgestürzter Baum macht die Straße auf den ersten Blick unpassierbar. Für einen Moment habe ich mich von Towstij Lis bereits verabschiedet...
Es ist mir immer noch nicht klar, wie wir es geschafft haben, den Baum von der Straße zu räumen :). Es kostete uns eine halbe Stunde Zeit; und doch ist es uns gelungen!
Und nun sind wir mitten im Herzen der „westlichen Spur“.
In den historischen Dokumenten wird das Dorf Towstij Lis zum ersten Mal 1447 erwähnt. Im Jahre 1570 wurde ein Teil des Dorfs von dem Kiewer Heeresführer Andrej Nemirovitsch an das10 Jahre vergingen und die Natur heilte die durch das Feuer entstandenen Wunden. Alles, was noch daran erinnert, sind die halbzerstörten Öfen und verrosteten Bettgestelle – umgeben von einer blühenden Frühlingslandschaft. Wir sind im Zentrum des Dorfs. Die Ruinen des Kulturhauses, das Lenin Denkmal, rechts die Dorfschule – eines der Gebäude, das vom Feuer verschont blieb. Auf dem Boden in der Schule liegen haufenweise leere Blanko–Zeugnisse und andere unbenutzte Urkunden. Den tiefsten Eindruck hinterläßt jedoch das Denkmal vom „Sowjetischen Soldaten“: Ein „steinerner Wächter der toten Dörfer“ wie es die ukrainische Dichterin Lina Kostenko genannt hat. Die Gammastrahlung im Dorf beträgt bis zu 2 mR/h.Kiew–Mihailowski–Kloster übergeben und von den polnischen Königen Sigismund dem Ersten und dem Zweiten anerkannt. Das Dorf war, unter anderem, für seine, 1760 im Stil des ukrainischen Barocks erbaute und 1996 komplett abgebrannte, Holzkirche bekannt.
Nach einer kurzen Besprechung beschließen wir, nicht den gleichen Weg zurückzufahren. Wir wollen versuchen über Nowa Krasnizja nach Retschizja und dann weiter bis Stari Schepelytschi durchzukommen.
Retschizja.
Die Brände von 1996 vernichteten fast die Hälfte des Dorfs.
Wir stellen das Auto nicht weit vom Zentrum ab und setzen unsere Reise zu Fuß fort.
Das Dorf kommt mir ungewöhnlich vor: Die Häuser wurden dicht aneinander gebaut; es gibt so gut wie keine Höfe. Das Ganze ähnelt eher an Schrebergärten als an ein Dorf. Nun sind wir mitten im Zentrum. Die Werkstätten der Schule mit den Tischlerschraubstöcken, ein Getreidespeicher mit einer Bodenwaage und, komischerweise, ein Buch von L. I. Breschnew. Die Postfiliale mit der eingestürzten Decke wurde gleichzeitig als Bibliothek und Kulturraum genutzt. Es gibt auch eine Gedenktafel auf der die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Dorfbewohner aufgelistet sind.
An der Wand der Postfiliale hängt eine bewegende und zugleich erschreckende Anzeige: „Sendungen mit Kartoffeln und jeglicher Art von Setzlingen werden nicht angenommen.“ Mir kamen die Tränen als ich die Postleitzahlentabelle gesehen habe: Das Dorf Retschizja war dort gar nicht mehr aufgeführt.
Die verschlossene Tür eines weiteren Raumes (das Foto in der Mitte) hatte bei uns ebenso für Aufregung gesorgt. Das „große Geheimnis“ war schnell gelüftet: Der verschlossene Raum war eine Abteilung der örtlichen Sparkasse. Die Plünderer hatten damals nicht die Zeit sich mit dem Schloß zu beschäftigen rissen ein Fenstergitter heraus, um hinein zukommen.
Das Denkmal vom „Sowjetischen Soldaten“ fanden wir in einem Raum des Kulturhauses. Es war kein schöner Anblick: Nur der Kopf der Statue war zu sehen. Als ob man sie bis zum Hals vergraben hätte. Die Gammastrahlung im Dorf steigt auf bis zu 1 mR/h.
Es dämmert. Regenwolken ziehen auf und wir setzen uns in Bewegung. Endlich finden wir auf der Karte eine Übereinstimmung mit unserem Routenverlauf – es verleiht ein beruhigendes Gefühl :).
Der nächste Halt ist das Dorf Stari Schepelytschi.
Es fängt an zu regnen. Wir verstecken unsere Fotoausrüstung unter unseren gelben „pripyat.com“–Regenjacken, setzten uns in die Autos und fahren los. Wir verlassen die Zone durch den Kontrollpunkt „Beniwka“, endlich!
Wie es sich für Besuche in der Zone gehört, kehren wir auf einem anderem Weg heim, als auf dem, auf dem wir gekommen sind...
10 Jahre vergingen und die Natur heilte die durch das Feuer entstandenen Wunden. Alles, was noch daran erinnert, sind die halbzerstörten Öfen und verrosteten Bettgestelle – umgeben von einer blühenden Frühlingslandschaft. Wir sind im Zentrum des Dorfs. Die Ruinen des Kulturhauses, das Lenin Denkmal, rechts die Dorfschule – eines der Gebäude, das vom Feuer verschont blieb. Auf dem Boden in der Schule liegen haufenweise leere Blanko–Zeugnisse und andere unbenutzte Urkunden. Den tiefsten Eindruck hinterläßt jedoch das Denkmal vom „Sowjetischen Soldaten“: Ein „steinerner Wächter der toten Dörfer“ wie es die ukrainische Dichterin Lina Kostenko genannt hat. Die Gammastrahlung im Dorf beträgt bis zu 2 mR/h.
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