Die zweite Hälfte des 22.Dezember 2011. Nach zwei Stunden Fahrt aus Regina Forest durch Schnee und Glatteis kommen wir in den warmen Herbst zurück. Die Straße durchquert das östliche Teil der «Hufe» des Fukushima-Fallouts. Die Gamma - Dosisleistung in unserem Minibus erreicht 1,5 uSv/h und fängt an langsam zu sinken. Wir befinden uns im Gebiet mit der mäßigen radioaktiven Belastung. Angekommen in Miharu - parken wir vor dem Rathaus des kleinen Städtchens. Die Ortdosisleistung beträgt hier ca. 0,3 uSv/h – es ist fast sauber.
Miharu (三春町)
Die Siedlung Miharu liegt auf der Insel Honsu in der Präfektur Fukushima, Region Tamura. Die Einwohnerzahl – ca. 18´000. Die Entfernung zum AKW Fukushima-Daiichi – ca. 48 km.
Der Name Miharu bedeutet «Drei Frühlinge». Solch eine schöne Bedeutung entstand aus einem einfachen Grund: im größten Teil Japans blühen Pflaumen-, Pfirsich- und Kirschbäume zur verschiedenen Zeit, in Miharu dagegen, blühen sie praktisch gleichzeitig. Miharu steht zudem auch noch für den Baum, der zu Japans größten nationalen Reichtümern zählt – Miharu Takisakura (三春滝桜 — wortgetreu übersetzt «Sakura Miharu Wasserfall»). Ein über 1000 Jahre alter Kirschbaum, den während der Blütezeit Menschen aus ganz Japan besuchen kommen. Der Baum ist 12 Meter hoch, der Stammumfang beträgt 9,5 m, die Baumkrone von Ost nach West – 22 m, von Nord nach Süd – 18 m. Der Baum steht in der Liste der fünf größten und drei gigantischsten Sakura-Bäume Japans und gilt als nationales Kulturerbe seit 1922. Laut Umfrage nimmt der Miharu Takisakura als bekanntester Baum Japans oftmals den ersten Platz ein. Ca. 300´000 Menschen kommen jährlich hierher um diesen Sakura-Baum anzuschauen.
Wie ich bereits im vorherigen Teil erwähnte, ist für heute ein Treffen mit dem Bürgermeister von Miharu geplant. Bis dahin bleibt noch etwas Zeit, die ich für einen Spaziergang mit dem Armbanddosimeter MKS-11 «Spektra» nutze. Die Ortsdosisleistung pendelt hier zwischen 0,2 und 0,4 uSv/h. Wenn man vom Asphalt ins Grüne wechselt steigt die Strahlung bis auf 0,8 uSv/h.
Völlig unerwartet taucht neben unsere Gruppe ein in schwarzer Jacke gekleideter älterer Mann auf. Kenzo und Hori eilen zu ihm, begrüßen sich abwechselnd durch das traditionelle Verbeugen und stellen uns den Mann vor: «Machen sie sich bekannt – Yoshinori Suzuki, der Bürgermeister von Miharu».
Der Bürgermeister von Miharu, Yoshinori Suzuki (鈴木義孝), ist nicht nur für das Beschaffen von Dosimetern und Jodpräparaten in den ersten Tagen nach der Atomkatastrophe bekannt, sondern auch dafür, dass er vor der Bekanntgabe der Empfehlungen durch die Regierung entschieden hat, die Dekontaminierung von Schulen, Kindergärten und Grünanlagen durchzuführen.
Der Bürgermeister Yoshinori Suzuki schaut interessiert auf meine Geräte. Noch bevor er beginnt Fragen zu stellen, fange ich direkt mit dem Berichten über meine Messungen an: «Die Werte sind etwas erhöht, es gibt einige Flecken, vor allem auf der Erde und sogar vor dem Rathaus.» Yoshinori Suzuki schaut lächelnd zu Seite: «Ach das ist doch gar nicht wichtig. Hauptsache, dass wir die Schule sauber gekriegt haben! Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen, messen Sie lieber dort.»
Die Schule befindet sich auf einem kleinen Hügel gegenüber dem Rathaus. Wir steigen eine steile Treppe hinauf, und kommen durch ein Tor auf den Hof der örtlichen Schule.
— Wir haben die komplette obere Erdschicht entfernt und im Hinterhof der Schule vergraben, die Wände und das Dach gewaschen.
Ich messe die Dosisleistung, wie sich das gehört, 1m über dem Boden: 0,16 uSv/h, die Beta – Teilchenflussdichte an der Bodenoberfläche – 15 * 1/(cm²•min). Ich kann es bestätigen - der Schulhof ist einer der saubersten Plätze in Miharu.
Im Hinterhof befindet sich die improvisierte Lagerstätte für den vom Schulgelände abgetragenen Boden. (Foto links). «Wie hoch ist die Strahlung?» Ich gebe es ehrlich zu: «0,5 uSv/h». Yoshinori Suzuki wirkt besorgt: «Wir lassen die Kinder nicht hierher, es ist nur eine temporäre Lösung. Später kommt es auf einen speziell dafür vorgesehenen Platz.» Ich bin zwar erst seit drei Tagen in Japan, aber ich bin mir sicher, dass die Kinder nicht hierher kommen werden. Der Respekt vor Erwachsenen ist unanfechtbar. Wenn die Erwachsenen den Kindern sagen, sie sollen diesen Ort nicht betreten, dann wird sich auch dran gehalten. Selbst wenn die Lagerstätte nicht nach allen Regeln des Strahlenschutzes errichtet war, ist es in jeden Fall besser als wenn alles so geblieben wäre und die Kinder beim Herumlaufen auf dem Schulhof den radioaktiven Staub aufwirbeln würden.
Nach dem Beenden der Aufnahmen auf dem Schulhof ziehen wir weiter in das Büro des Bürgermeisters.
Aus dem kurzen Interview werden 2 Stunden. Yoshinori Suzuki erzählt über die Dekontaminierung des Städtchens, den Bau der Notunterkünfte für die Flüchtlinge (Miharu beherbergte ca. 1400 Einwohner aus Tomioka und Kutsarao), die Schulungen über Strahlenschutz und über die permanente Überwachung der Ortdosisleistung in den radioaktiv belasteten Gebieten und noch von vielen anderen wichtigen Dingern. Auf dem Bürotisch liegen einige Packungen von Jod-Präparaten und Dosimeter. «Es ist meine Stadt und es sind meine Bürger die mich gewählt haben und die mir glauben. Das was die in Tokyo entscheiden ist für mich nicht wichtig. Wir haben vieles überstanden und das schaffen wir auch.»
Wir verabschieden uns von Miharus Bürgermeister Yoshinori Suzuki und fahren los nach Iwaki (いわき市) — eine der zentralen Städte der Präfektur Fukushima in 43 km Entfernung zum AKW Fukushima-Daiichi.
Morgen, am 24.Dezember, ist ein Treffen mit den örtlichen Fischern und die Besichtigung eines unabhängigen Labors für Spektrometrie eingeplant.
Hisanohama, Iwaki (いわき市). Präfektur Fukushima. Der dritte Tag< Zurück | Weiter >Das Schultreffen. Präfektur Fukushima. Zweiter Tag |
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