Vor ungefähr zwei Jahren hatte Olexandr Syrota, Vorsitzender der öffentlichen Organisation und des gleichnamigen Portals pripyat.com, eine bemerkenswerte Idee: Und zwar, nach den Wünschen ehemaliger Bewohner Pripjats, Fotos von Wohnungen und Häusern zu machen. Die Idee erhielt ein positives Echo, und kaum eine Woche später war das Forum des obengenannten Portals mit „Bestellungen“ überfüllt. Täglich wuchs die Anzahl der Anfragen; es war so gut wie unmöglich, sie alle im Rahmen der Standardausflüge zu „bearbeiten“. Aus diesem Grund organisierte man einen Ausflug, um hauptsächlich diesem Vorhaben nachzugehen. Außerdem sollten noch nach Möglichkeit Lücken im Adressbuch und in der virtuellen Karte der Stadt geschlossen werden.
Die „pripyat.com“–Truppe: Oleksandr (planca) Syrota, Anja (Alfa) Horjelyschewa, Iwan (Ulis) Zepajew, Yevhen (KRANZ) Honcharenko. Denys (Yangwy) Wyschnewskyj von Ecocenter und Jura (tatarchuk) Tatartschuk von Tschornobyl Interinform waren auch mit dabei.
Es ist der 5. Januar 2009. Die Temperatur liegt, trotz des Sonnenscheins, weit unter Null. Ausgestattet mit Karten und Adresslisten teilen wir uns nach Stadtteilen auf und legen los. Olexandr und ich werden das südöstlich gelegene Viertel (Nr. 1) unter die Lupe nehmen.
- Das Märchen von Pripjats Straßen
Wir gehen die Kurtschatovstraße entlang in Richtung der Medizinischen Klinik Nr. 126. Eigentlich könnten wir auch durch die Innenhöfe dorthin kommen; aber die Schönheit der verschneiten Straßen Pripjats wollten wir uns nicht entgehen lassen.
Neben der Klinik biegen wir auf die „Freundschaft der Völker“–Straße (Druschby Narodiw) ab. Unsere erste Adresse: Haus Nr. 5 (ein längliches, fünfstöckiges Gebäude hinter dem Lebensmittelgeschäft „Univermag“). Es ergibt sich eine gute Gelegenheit das Geschäft zu fotografieren. Im Sommer ist dies, wegen des dichten Baumbewuchses, so gut wie unmöglich.
- Musikalische Märchen
Durch den Innenhof kommen wir zur „Straße der Enthusiasten“ (Entusiastiw) und gehen in das Wohnheim Nr. 7 der Bauverwaltung des Kraftwerks von Tschornobyl. Der Erholungsraum hat mir persönlich am besten gefallen.
- Das Märchen vom Geheimnis der Wäscherei
Wir biegen an der Ecke des Wohnheims Nr. 7 ab und gehen an einem weiteren, dessen Nummer uns aber wegen des fehlenden Hausschilds verborgen bleibt, entlang. Wir kommen auf den Hof der Wäscherei. Eines der wenigen noch funktionierenden und zugleich seltsamsten Objekte in Pripjat. Mindestens einmal im Monat tauchen Gerüchte um die endgültige Schließung auf. Dem Rauch aus dem Schornstein zufolge werden die Gerüchte wohl auch solche bleiben. Versuche, aufzuklären, was und für wen die Wäscherei so wäscht, blieben erfolglos. Die Administration der Zone schickte uns zur Verwaltung des Kraftwerks, die wiederrum verwiesen uns an die Administration.
Ich konnte mich nicht zurückhalten und machte ein Foto von dem wachsamsten Polizisten der Stadt. Im Sommer sind seine Beine wegen des hohen Grases kaum zu sehen. Der hat ja eine schicke blaue Hose an! Und diese Burschen (das Foto rechts unten) sieht man im Sommer vor lauter Gras überhaupt nicht.
- Ein trauriges Märchen
Gegenüber der Wäscherei befindet sich eine Hockey–Eisbahn. „Mann, haben wir uns hier, direkt neben dem Friedhof, abends gefürchtet...“ erinnerte sich Olexandr an die längst vergangene Kindheit. Ich war überfragt. Friedhof? Wo denn? Ich bin schon öfters im Sommer hier gewesen, aber einen Friedhof habe ich noch nie gesehen. „Da ist er doch – direkt hinter der Eisbahn.“ Olexandr gibt mit dem Stativ die Richtung vor: Der alte Friedhof des Dorfs Semychody ist mittlerweile von der Stadt vollständig umgeben...
Den Daten auf den Kreuzen zufolge wurde der Friedhof irgendwann in den 60ern seinem Schicksal überlassen und nicht weitergepflegt. Nach dem Unfall wurde hier keine Dekontamination durchgeführt, so daß, trotz des 30 cm hohen Schnees, die Strahlung hier um 500 µR/h und mehr beträgt.