Nun sind bereits zwei Wochen seit unserer Reise in die Zone vergangen und ich habe immer noch keine Fotoreportage fertiggestellt... Irgendetwas lässt mich es nicht machen... Etwas in mir drin... Ich kann es mir nicht erklären... Was habe ich in Pripjat gesehen?.. Was habe ich erwartet dort zu sehen?
Pripjat ist ein übersichtliches, kleines Städtchen und ist kaum grösser wie ein Viertel in Kiew. Ein Paar Stunden reichen, um einmal durch die ganze Stadt zu gehen. Pripjat war eine ganz junge Stadt... Zu jung... Sie bleibt für immer 16...
Neue Häuser, neue Strassen, alles hier ist neu. Die Zeit schaffte es nicht, ihre Spuren zu hinterlassen. Ich spazierte entlang der verschneiten Strassen, ging in Häuser hinein, versuchte mir vorzustellen, wie es hier früher war... Und schaffte es nicht. 20 Jahre zogen vorüber und die Stadt ging von uns. Sie lebt seit dem ihr eigenes Leben, versunken im Grünen, von Tierspuren übersäht... Die Stadt ist nicht mehr in unserem Besitz. Wir haben sie verloren. Wir müssen uns damit abfinden und Pripjat einfach gehen lassen. Die Stadt lebt jetzt ihr eigenes Leben, weit entfernt von allem menschlichen.... Man kann hier entlang der zugewucherten Strassen spazieren gehen, um die friedliche Ruhe, die sich über diese leidvolle Stadt gelegt hat, zu fühlen. Dabei darf sie keineswegs gestört werden... Lebe wohl, Pripjat. Wir werden dich in unserer Erinnerung behalten. Wir werden dich öfters besuchen und dabei feststellen, wie du langsam Eins mit unserer mächtigen Natur wirst, die wir glücklicherweise nicht im Stande sind, sie zu verändern.
Wir wanderten durch die Stadt, notierten die Hausnummern für unsere zukünftige Stadtkarte, die wir seit einiger Zeit mit allen Kräften versuchen, wiederherzustellen. Es ist kurz vor 6 Uhr abends... Es dämmert... Ich bekomme starke Kopfschmerzen... Hat das wohl mit der Strahlung zu tun?.. Ich weiss es nicht... Wahrscheinlich war ich zu lange an der frischen Luft : ). Die Gammastrahlenwerte in Pripjat pendeln zwischen 15 mkR/St bis 3 mR/St. Der Vergnügungspark, das Stadion, die Gegend am Flusshafen, das Krankenhaus...
Eines der Kaufhäuser in Pripjat... Unter den Füssen knirschen die Splitter der 8 mm dicken Glasvitrine. Wir befinden uns im Obergeschoss... „Hier habe ich damals mein Passfoto machen lassen“ – sagt Vlad und zeigt auf eine alte verzogene Tür...
Der Kulturpalast „Energetik“ und der Vergnügungspark sind eine der „schmutzigsten“ Plätze der Stadt... Neben dem Autoscooter hocken wir uns hin, um die Strahlung zu messen. Max legt den Geigerzähler auf das verwelkte Grass... Unsere Geräte piepen um die Wette mitten in Zentrum einer leblosen Stadt... Die Gammastrahlung hier liegt bei 1 mR/St... Der Schnee dämpft die Strahlung etwas ab... Im Sommer können es bis zu 2mR/St werden... Wir gehen weiter... Das Wohnheim # 19, das Stadion, das Kino „Prometej“.
Der Flusshafen... Hier ist es ebenso „schmutzig“... Dieser Stadtteil von Pripjat wurde von der sog. „Nördlichen Spur“ gestreift... Nach einigen Metern steigt die Strahlung bis 1 bis 3mR/St.
Das Pier des ehemaligen Flusshafens von Pripjat... An Gedenktagen ist es ein beliebter Ort, wo die ehemaligen Bewohner sich zum Picknick treffen... Mit ihren Kindern... Die Werte der Gammastrahlung pendeln hier selbst im Winter zwischen 0,7 – 3 mR/St...
Das Krankenhaus... Das nervige Piepen der Geigerzähler deutet darauf, dass wir uns immer noch innerhalb der „nördlichen Spur“ befinden. Die "Freundschaft der Völker" Strasse, die Mittelschule # 1, ein Kinderspielplatz , die Schule # 5.
Nach einem in der Zone verbrachten Tag, fängt man das ätzende Piepen des Geigerzählers an zu hassen. Man hat das Gefühl, als ob das Geräusch sich für immer ins Gehirn eingebrannt hätte. Es wird dunkel in Pripyat. Die Dämmerung täuscht einem die Sinne: es kommt mir vor, als ob hier und da in den Fenstern der leeren Häuser die Lichter angehen. Man meint, einzelne Menschengestalten zu sehen... Die absolute Stille wird von dem Geräusch eines uns nähernden Auto unterbrochen... Und es ist keine Einbildung! Im hohen Schnee, halbversunken, hält neben uns ein Lada mit St.Petersburger Kennzeichen an. Aus dem Auto steigen zwei in Tarn gekleidete Männer aus : „Seid ihr etwa von Pripyat.com? Wir sind Journalisten von der „Komsomolskaja Prawda“ Zeitung. Auf eurer Seite haben wir erfahren, dass bald das 20ig jährige Jubiläum der Katastrophe ist.“ Und schon stehen wir zusammen auf dem zentralen Platz der menschenlosen Stadt neben dem Kulturpalast „Energetik“, trinken Bier, knabbern den Stockfisch, den uns das Uhreinwohnerpärchen Opa Sawwa und Oma Lena aus Novoschepelitschi mitgegeben haben und unterhalten uns über Pripjat. Die Sperrzone und die Katastrophe im Lenin AKW, die unser Leben so verändert hat... Mittlerweile ist es komplett dunkel geworden... Die beiden von der Zeitung übernachten in Pripjat. Sie wollen mit einer Infrarotfotokamera Nachts ein Paar Aufnahmen machen... Wir verabschieden uns und gehen Richtung Auto... Auf Wiedersehen Pripjat, auf Wiedersehen Zone... Wir kommen bald wieder...
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