Lost Places - Sperrzone von Tschernobyl

Pripjat, Sperrzone von Tschernobyl und andere verlassene Orte

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Minamisoma kämpft (南相馬市). Präfektur Fukushima. Der vierte Tag

Minamisoma kämpft (南相馬市). Präfektur Fukushima. Der vierte TagNach der Fahrt mit den ehrenamtlichen Dosimetristen von Safecast entlang der Grenze der Zone kehren wir zurück in die Stadt und checken im Hotel Ogiya (ホテル扇屋) ein. Die winzigen Hotelzimmer erinnern mit ihrer Inneneinrichtung aus viel Aluminium und Plastik an Eisenbahnwaggons. Auf dem kleinen Tisch stehen Fläschchen mit Jodpräparaten.

Die Dosisleistung in dem Hotelzimmer beträgt 0,3 uSv/h – es entspricht fast der Norm. Nach den heutigen Messwerten in der Zone kümmert es kaum einen. Auf Minamisoma´s Straßen pendeln die Werte zwischen 0,3 und 1 uSv/h.

Minamisoma (南相馬市)

Direkt nach dem AKW Unfall hatte der Bürgermeister der in 20km entfernten und 71 000 Einwohner zählenden Stadt - Katsunobu Sakari die japanische Regierung um Rat bezüglich der Evakuierung gebeten. Zuerst wurde er von den Behörden einfach ignoriert. Als er sie irgendwann später erreichen konnte, wurde ihm versichert dass es keinen Grund zur Besorgnis gibt. Wie es sich für jeden guten japanischen Beamten gehört, hatte er die Empfehlungen der Regierung vertrauensvoll wahrgenommen und wartete auf weitere Instruktionen, währenddessen er seine Bürger zu beruhigen versuchte. Als man am 17. März 2011 mit dem Abzug des japanischen Militärs aus Minamisoma begonnen hatte, was wie ein feiger Rückzug der Armee vom Schlachtfeld aussah, fing der Bürgermeister samt seinen Bürger die Empfehlungen der Regierung an anzuzweifeln: bestenfalls hatte die Regierung die Informationen zurückgehalten, im schlechtesten Fall – wurden sie schlicht belogen.

„Selbstverständlich war ich verärgert“, sagt der Bürgermeister. „Erst wurde ich ignoriert und dann hinters Licht geführt. Darauf hin wurden die Bürger ihrem Schicksal überlassen. Ich war derjenige der den Leuten gesagt hatte dass sie bleiben sollen. Ich hatte dafür die Verantwortung übernommen und zugesichert, alles sei in Ordnung. Deswegen entschied ich mich als letzter die Stadt zu verlassen. Ich werde nicht eher weggehen bevor der letzte Bürger in Sicherheit gebracht wird.“

Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima

Noch am gleichen Abend des 17.März 2011 hatte der Bürgermeister Katsunobu Sakari den Befehl zur Evakuierung der Stadt gegeben. In der Nacht verließen ca. die Hälfte der Einwohner die Stadt. Die Busse wurden ganz gewiss nicht von der japanischen Regierung, sondern durch die örtlichen Behörden organisiert und bereitgestellt.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind viele der evakuierten Einwohner wieder nach Minamisoma zurückgekehrt. Es sind größtenteils ältere Menschen. Es gibt fast gar keine Kinder in der Stadt. Sie wurden von den Verwandten in den sauberen Regionen aufgenommen, da ihre Eltern sich große Sorgen um ihre Gesundheit gemacht hatten.

Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima

Trotz allem gibt Minamisoma nicht auf und versucht das Leben auf die gewohnte Art und Weise zu gestalten. Das Soma Namaoi Festival (相馬野馬追), welches hier jährlich stattfindet, ist ein Beweis dafür.

Das Soma Namaoi Festival (相馬野馬追)

Bis zuletzt stand die Durchführung des Festivals auf der Kippe. Zwei wichtige Ereignisse des Festivals mussten abgesagt werden, da das Gelände, auf dem sie traditionell stattfinden, nach der Katastrohe innerhalb der 20 km Sperrzone liegt. Trotz alle dem hielt man daran fest und das Festival wurde durchgeführt. Katsunobu Sakari - der Bürgermeister von Minamisoma, traf die Entscheidung über die Durchführung des Festivals, das als die größte Reiterveranstaltung der Welt gilt und zu den größten Festivals Japans zählt. Das Festival wird von der Regierung als ein folkloristisches Kulturerbe des japanischen Volkes klassifiziert.

Der ältere Sohn des letzten Daime Clans Soma – Soma Michitane - eröffnete das Festival mit einem Gebet für die Opfer des Erdbebens und Tsunamis in 2011. Dutzende Samurai in Kampfausrüstung und mit gebeugten Köpfen tun es ihm gleich.

Während der Eröffnung des Festes spricht der Nachfolger des hier seit Jahrhunderten herrschenden Clans Soma Michitane zu seinen Reitern: „Schenkt euren Glauben in die Tradition des Soma Namaoi. Soma wird wieder aufleben!“

In einem Interview der schwedischen Journalistin Elin Lindqvist, welches in ihrem Blog veröffentlicht wurde, sagte der letzte Nachfolger des Soma Clans:

„Ich trage den Namen meiner Vorfahren die Soma bereits vor 150 Jahren, als eine große Naturkatastrophe geschah, angeführt hatten. Meine Pflicht ist diese Führungsstärke auch in der heutigen Situation zu zeigen. Es werden in verschiedenen Städten große und kleine Feste veranstaltet, wo die Teilnehmer die Samurai darstellen. Wir stellen niemanden dar - wir sind Samurai.“

Soma Ota (相馬太田神社), Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Soma Ota (相馬太田神社), Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Soma Ota (相馬太田神社), Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima

Der Abend eines langen und anstrengenden Tages (eigentlich wie alle anderen Tage unserer Reise auch) bricht an. Bevor wir zum Hotel zurückkehren, halten wir am nächsten Kiosk um uns etwas zum Abendbrot zu kaufen. Jetzt noch nach einem Restaurant zu suchen, dafür fehlt uns einfach die Kraft. Wir bleiben an unserem Kleinbus stehen um den Automatenkaffe aus kleinen Blechdosen auszutrinken. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Bergen. Vor uns, in 50 Meter Entfernung steht der Kontrollpunkt zur 20 km Sperrzone, rechts daneben sind Felder die mit Schnee bedecktem Löwenzahn übersät sind. Es ist ein eigenartiger Winter hier.

Die Ortsdosisleistung beträgt ca. 1 uSv/h.

Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima Minamisoma (南相馬市). Präfektur Fukushima

Morgen, am 26 Dezember, ist eine Reise in das verlassene Dorf IItate sowie der Besuch eines Dekontaminierungsstabes in Minamisoma, eines Kindergartens, und einer Notunterkunft für Evakuierte im Vorort von Minamisoma geplant.


 

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Von Yevgen KRANZ Goncharenko

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