Region Zhitomir.
Kreis Owrutsch.
Lypski Romany, Schurba, Budoljubiwka, Stara Radtscha, Dowgiy Lis.
Es ist der 25. August 2006. Wir fahren in Kiew los. Die Reise geht über Korosten nach Owrutsch. Wir bewegen uns zur weissrussischen Grenze. Kurz vor Rudnia verlassen wir die Strasse und fahren rechts ab, Richtung Bereschest.
Nach dem Bahnübergang geht die asphaltierte Strasse in einen Schotterweg über.Reste der Asphaltdecke kommen wieder vereinzelnd zum Vorschein. Dann doch lieber Schotter... Kaputte Fahrbahn – ist hierfür kein richtiger Ausdruck. Zwischen den tiefen Löchern sind höchstens nur noch 20% des ursprünglichen Asphalt erhalten. Selbst in der 30 km Sperrzone sind die Strassen in einem besseren Zustand.
An den beiden Seiten der Strasse erstreckt sich ein halbausgestorbener Wald. In Magdyn fahren wir rechts und kommen endlich in Limantschy an. Da ist auch schon der Kontrollpunkt mit der Schranke.
Hier lassen wir uns die Kontrollpässe ausstellen.
"Wie sehen die Strassen in der Zone aus?" – schwer angetan von unserer akrobatischer Meisterleistung auf den Asphaltresten frage ich den Sergeant. Wenn das ausserhalb der Zone schon so schlimm war – wie ist es denn in der Zone? Der Milizionär beschaut skeptisch und bemitleidend zugleich unseren VW Polo: "Wenn ihr bis hierher gekommen seid – dann werdet ihr dort auch durchkommen. An einer Stelle gibt es eine tiefe Pfütze – vorsichtig am Rand entlang fahren! Viel Glück!"
Nun befahren wir die Zone. Die Strassen sind einigermassen in Ordnung. Unser erster Halt ist das Dorf Lypski Romany.
- Lypski Romany
Die mit weisser Farbe gemalten Zahlen an den Häusern in den evakuierten Dörfern fielen mir schon vor langer Zeit auf. Sie stimmen nicht mit den Hausnummern überein und es gelang mir nicht, den eigentlichen Zweck dieser Nummerierung herauszufinden. Ich hole aus der Tasche mein Dosimeter raus – die Dosis der Gammastrahlung ist normal :10-30 mkR/St.
Im der Mitte des Dorfes befindet sich ein ziemlich grosses, zweistöckiges Kulturhaus. Das Haus mit dem fehlenden Dach daneben könnte früher entweder das Rathaus oder vielleicht eine Poststelle gewesen sein. Alle Schilder, die es aufklären könnten, sind ebenso nicht vorhanden. Neben dem Kulturhaus finden wir eine Gedenktafel mit der Aufschrift: "Liebe Leute! Verbeugt Euch vor den Menschen, die hier ihre Höhen und Tiefen erlebt haben, denn sie werden niemals hierher heimkehren können".
Jede Menge Pilze. Die Umgebungsstrahlung ist so gut wie normal, stellenweise bis 40 mkR/St. Den tiefen Pfützen auf der Strasse folgten alle 5 Meter noch tiefere. Bei jeder von den dachten wir an die Worte des Milizionärs, ob das genau die war, vor der er uns warnen wollte... Aus zwei dutzend wählten wir dann die hier. Jedenfalls haben wir länger gebraucht um sie umzufahren, als bei den anderen Pfützen :)
- Schurba
In Angesicht der verlassenen Häuser, dachte ich über den Namen des Dorfes. Vor allem nach dem Frühling 1986 erhielt der Name "Schurba" ("Kummer" aus dem Ukrainischen übersetzt) für die Bewohner eine besondere Bedeutung... Ein seltsamer Name – wie ein Urteil. Etwas anderes kann man nun wirklich nicht behaupten... Aber überall blühendes Grün und wuchernde Hagebutten, die fast das ganze Dorf verschlingen, lassen bei mir keinen Kummer und Melancholie aufkommen. Wir verlassen Schurba. Eine Steinstrasse führt uns zum Bahnübergang Richtung Budoljubiwka. Hier ist auch schon der Kontrollpunkt – wir haben die Enklave ganz durchfahren. Wir geben unsere Ausweise ab, plaudern ein wenig mit dem Milizionär, verabschieden uns anschliessend und fahren zur Strasse, die von Owrutsch nach Polisske führt.
- Radtscha
Das Dorf wurde nicht evakuiert, jedoch hinterliess auch hier "der Schatten von Tschernobyl" seinen eigenartigen Abdruck. Wir überqueren die rostigen Bahnschienen von der nach 1986 unnütz gewordenen Wiltscha-Owrutsch Bahnstrecke. Nach einer Steinstrasse geht es über einen einfachen Waldweg in westlicher Richtung weiter. Das war es – hier kommen wir nicht weiter... Wir kehren um.
Wir passieren die Dörfer Nowa Radtscha und Stara Radtscha und... Stehen plötzlich vor einer Schranke neben einem Bauwagen mit einem Mast, an dem die ukrainische Nationalflagge weht. Aus dem Bauwagen kommen uns zwei sichtlich erstaunte, in Tarnuniform gekleidete Männer entgegen. Es waren eindeutig Grenzsoldaten. Augenblicklich fällt mir nichts klügeres ein, als eine in diesem Fall wirklich einmalige Frage zu stellen: "Ist denn hinter der Schranke schon Weissrussland?" Die beiden bestätigen meine mutige Einschätzung, doch das Misstrauen steht den beiden wie im Gesicht geschrieben. Es ist verständlich – die Männer sind im Dienst... Langsam entspannt sich die Situation und wir kommen mit den Soldaten ins Gespräch. Ich erkundige mich über den Weg nach Dowgij Lis. (Die Jungs kommen aus dieser Gegend um Owrutsch. Sie sprechen für mein Ohr, einen in der Rhythmik und Akustik einzigartigen Dialekt. Es kling wie Musik, frage ständig nach für mich unbekannten Worten). Wir müssen hier links nehmen um nach Dowgij Lis zu kommen. Dort kommt noch eine weitere Schranke. Einer von den Soldaten kommt mit uns bis dahin mit. Bereits zu dritt fahren wir in die Zone hinein.
Dowgij Lis. Wir steigen aus dem Auto aus und machen uns auf dem Weg durch das hohe Grass. „Seid vorsichtig! Und guckt, wo ihr drauf tretet – hier ist alles voller "Unrat", - ruft der Grenzer uns hinterher- "Alle Kriechtiere nennen wir bei uns in Polessje einfach "Unrat"... Ich schaue auf mein Dosimeter – es strahlt stellenweise bis 80 mkR/St.
Wir wandern durch das Dorf mit einem eindrucksvollen Namen "Partisanskaja". Unterwegs gehen wir in das marode Kulturhaus und in die geplünderten Stuben hinein. Diese mitten im Eingang eines alten Hauses wachsende Fichte hat mich besonders beeindruckt. Das Alter des Baumes kann man auch so einschätzen, ohne die Baumringe an der Schnittfläche zu zählen, - 20 Jahre...
Das war es... Weiterfahren macht keinen Sinn – die Strassen nach Sytiwka und Omelnyki sind laut dem Grenzer nichts für unseren Polo. Für uns heisst es jetzt: Umkehren. An der Grenze verabschieden wir uns von den beiden Grenzsoldaten und fahren wieder zurück nach Kiew. In Polisske passieren wir an der Ein – und Ausfahrt die beiden Kontrollpunkte und schon fahren wir auf der R-27 Strasse "Kiew-Dityatki", die ich mittlerweile besser als meine Westentasche kenne.
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